Pfarrei Bad Neuenahr-Ahrweiler

Im Interview: Kooperator Heiko Marquardsen

Zum 1. Advent 2023 wechselt Kooperator Heiko Marquardsen von Ahrweiler in die Pfarreiengemeinschaft Remagen und wird dort leitender Pfarrer. Insgesamt hat er gute drei Jahre bei uns verbracht und dabei allerlei erlebt. In seine Dienstzeit fielen insbesondere die Corona Zeit und die Flut im Juli 2021. Gelegenheit zum Abschied ist am Sonntag, den 05. November 2023 gegeben, wo Pfarrer Marquardsen um 09:30 Uhr in St. Lambertus, Kirchdaun seine Abschiedsmesse in unserer Pfarrei feiern wird.

Gehen wir mal ganz zurück an den Anfang: Wieso sind Sie Priester geworden? 

Nach dem Abitur habe er nicht daran gedacht, Priester zu werden: „Ich wollte Lehrer für Geschichte und Physik werden.“ Eher zufällig kam er auf Theologie. „Physik wurde in Trier leider nicht angeboten und so entschloss ich mich für Theologie.“ Obwohl Geschichte für den Geistlichen bis heute eine große Leidenschaft darstellt, so hat er sich im Studium gelangweilt. Theologie sei da die große Überraschung gewesen! „Ich habe mich dann in den Diplomstudiengang eingeschrieben, um Pastoralreferent zu werden.“ Insbesondere die Familienplanung sei ausschlaggebend gewesen für sein anfangs entschiedenes „Nein“. Und trotzdem kam – von ganz verschiedenen Leuten gestellt – immer wieder die Frage auf: „Willst Du nicht ins Seminar gehen?“ Zwei Sachen waren dann ausschlaggebend für den Eintritt ins Priesterseminar: Einerseits die Erfahrung der Seelsorgearbeit als eine zutiefst sinnvolle, andererseits die geistliche Begleitung. Denn in der Begleitung setzte er sich mit der Seewandel Geschichte auseinander: „Dieses Komm Jesu hat mich zum Nachdenken gebracht.“ Etwa nach dem Vor-Diplom fiel dann die Entscheidung, Priester zu werden: „Ich wollte dann eigentlich erst nach dem Studium ins Priesterseminarseminar gehen, aber dieses ‚Komm‘ Jesu wurde für mich immer stärker und konkreter, dass mein entschiedenes Nein immer wackliger wurde.“ Bis heute sei die Erzählung von der Seewandlung für ihn kostbar, sie war Thema seiner Diplomarbeit und ziert als Motiv auch sein Primizgewand.

Ähnliches habe Heiko Marquardsen übrigens auch mit Blick auf den Stellenwechsel erlebt: „Eigentlich wollte ich gar nicht aus Bad Neuenahr-Ahrweiler weg. Ich habe mich auch vor meinem 40. Geburtstag nicht unbedingt als leitenden Pfarrer gesehen.“ Doch nachdem die Personalabteilung ihm den Stellenwechsel offenbart habe, sei das „Komm“ Jesu wieder konkret geworden: „Ich habe gemerkt, dass mehr Potential in mir schlummert, als ich mir zutraue und dass es in der Nachfolge nicht darum geht, eigene Wünsche durchzudrücken, sondern auf Gott zu vertrauen.“ Berufung sei ein schwieriger Begriff, in der Schule erkläre Marquardsen das wie folgt: „Es ist als würde jemand alles dafür tun, dass Du Ja zu etwas sagst; Du hast quasi keine andere Wahl.“ Das sei sowohl bei  seinem Eintritt ins Seminar, als auch beim Stellenwechsel so gewesen – Berufung bedeutet: „Gott traut mir zu, dass ich mehr kann, als ich für möglich halte.“

Die Erzählung von der Seewandlung, dieses Vertrauen darein, dass Gott es ermöglicht, auch über höchste Wellen zu gehen, habe ihn auch während der Flut Krise 2021 maßgeblich getragen und begleitet.


 Vielleicht bleiben wir direkt bei der Flut stehen: Wie haben Sie die Ereignisse rund um den 15. Juli 2021 damals erlebt?

Die Ereignisse in der Flutnacht selbst haben sich ziemlich eingebrannt, weil sie so abstrus waren, die Ereignisse in der Folgezeit, weil sie Leid so konkret gezeigt haben.

„Am Mittwochabend traf ich mich noch mit einem Ausschuss vor dem Apollinaris Stadion.“ Da habe es bereits strömend geregnet „und wie ich eben bin, habe ich schlechte Witze gerissen: ‚Wenn ich jetzt ein Kreuz in die Luft mache, könnten wir uns viel Weihwasser sparen.‘ An derartige Ausmaße habe ich zu dem Zeitpunkt – wie so viele hier – überhaupt nicht denken können!“ Von der Flut bekam er dann über WhatsApp mit, als man sich in der Nachbarschaft ausgetauscht habe. „Ich habe noch überlegt, ob man nicht an die Pius Kirche ein paar Sandsäcke stellt. Als ich mit dem Auto an der Pius Brücke schon im Wasser stand, war mir komisch und ich drehte um.“ Zuhause angekommen, kam im Gespräch mit Nachbarn die Idee auf, das Auto ein paar Meter in den Weinberg zu fahren: „Als wir ankamen, war schon alles voll! Ich hatte immer noch nicht ganz verstanden, was hier passiert. Wir musste fast bis ganz oben fahren. Ich bin auch im Trainingsanzug und ohne Brille gefahren – das mache ich sonst nie! Irgendetwas war in dieser Nacht einfach anders.“ Ebenfalls habe er spontan eine Pilgergruppe, die im Auto schlafen wollte, bei sich beherbergt, was er sonst ebensowenig machen würde. „Ich hatte morgens weder Wasser, noch Strom, also ging ich zu Netto nebenan. Aus heutiger Sicht auch eine total surreale Situation: man konnte dort ganz normal einkaufen, das Wasser kam nicht so weit.“ Erst in den folgenden Stunden, sei ihm das Ausmaß so richtig klar geworden: „Als ich dann den ganzen Tag beim DRK saß und die Evakuierten betreut habe, verstand ich immer mehr, was in dieser Nacht passiert ist.“

Eine kostbare Erfahrung sei es gewesen, zu sehen, wie viele Menschen an einem interessiert sind und wer – auch in Gedanken – bei einem ist: „Es gab weder Internet, noch Strom, weshalb man sorgsamer mit dem Handy umgehen musste. Ich habe abends meine WhatsApp Nachrichten beantwortet am Abend und war gerührt, wie viele Menschen sich besorgt nach mir erkunden. Die Frage ‚Lebst Du noch?‘ kam mehrmals – aber ernst gemeint!“ 

Eine viertägige Auszeit bei den Patenkindern habe ihn aufgebaut, wo das Beten anfangs schwierig war: „Gottt, der über die Zeit so vertraut wurde, war plötzlich so fremd.“ Ebenfalls hilfreich sei die gemeinsame Zeit mit Pfr. Jörg Meyrer gewesen, sie habe seinen Tagen Struktur gegeben, was wichtig war.


Wie wurden Sie im September 2020 in Ahrweiler aufgenommen?

„Man spürt in Bad Neuenahr-Ahrweiler sofort die rheinischer Art“, so der künftige Pastor. Die herzliche Art hier an der Ahr mache es gerade Zugezogenen leicht, schnell Anschluss zu finden und gut anzukommen! Etwas traurig ist Marquardsen darüber, dass er in den drei Jahren an der Ahr keine normale Zeit erlebt hat: „Als ich kam, waren wir auf dem Höhepunkt der Corona Pandemie, als das gerade abgeflacht ist, kam die Flut dazwischen und jetzt, wo sich alles wieder normalisiert hat, wechsle ich die Stelle wieder.“ Trotzdem war die Zeit für Marquardsen sehr kostbar, weil er eine intensive Zeit erlebt habe, in der auch die negativen Dinge sich auf seine persönliche Entwicklung positiv ausgeübt haben. Sie haben ihn wachsen lassen: „Ohne die drei Jahre in Bad Neuenahr-Ahrweiler, würde ich es mir vielleicht nochmal überlegen, leitender Pfarrer zu werden.“ Dass diese Liebe auf Gegenseitigkeit beruht, zeigt u.a. ein kurioses Abschiedsgeschenk: „Von einer Gruppe aus Gimmigen habe ich ein Torwarttrikot von Oliver Kahn geschenkt bekommen.“ Marquardsen ist bekennender Fan des FC Bayern München, das Trikot erinnere ihn an seine Kindheit, in der er – ebenfalls im Trikot des Torhüters – mit einem Freund Fußball gespielt habe. 

Das Fußballtrikot bildet dabei einen von vielen schönen Momenten, an die sich Marquardsen zurückerinnert. Er betont vor allem die Möglichkeit, sich auszuprobieren und Projekte anzustoßen, die außerhalb der Reihe laufen. Vor allem die Unterschiedlichkeit der Kirchorte habe er als sehr bereichernd empfunden. Eine weitere Bereicherung sei der Brettspielladen in Ahrweiler gewesen: „Für’s Portemonnaie ist es sicherlich besser, dass es in Remagen (noch) nichts vergleichbares gibt.“ Auf persönlicher Ebene wird ihm der Frauen-Stammtisch in Kirchdaun fehlen – „Das kann ruhig so zitiert werden!“ Insgesamt tue er sich schwer damit, loszulassen; aber auch das gehöre dazu: Abschied und Neuanfang.

Was Marquardsen definitiv nicht vermissen wird, ist der Flut-Kontext, in dem sich das Leben an der Ahr nach wie vor abspielt: „Leid und Schmerz haben in Ahrweiler eine ganz andere Dimension. Die Messen in Laurentius finden auf einer Baustelle statt, das muss man sich mal vorstellen! In der Hinsicht werde ich in Remagen schon eine Art heile Welt katapuliert – natürlich gibt es auch da Leid; nur ist es dort nicht so sichtbar und konkret wie bspw. die Flutschäden vor der Haustür.“

Dass die Zeit an der Ahr für ihn insgesamt gewinnbringend war, zeigt sich in erster Linien in den zahlreichen Projekten des jungen Geistlichen: „Die Waschbar ist mein Herzensprojekt, weil man hier sieht, dass Kirche nicht nur von Gottesdiensten, sondern von konkreten Begegnungen lebt. Die Waschbar stellt den Gedanken des Miteinander ins Zentrum, indem sie ganz jesuanisch fragt: ‚Was kann ich für dich tun?‘“ Gewachsen sei das Projekt aus seinen Erfahrungen während der Flut, als es um konkreten Dienst am anderen ging – und nicht darum, wer noch zur Sonntagsmesse komme.


Am 05.11 feiern Sie Ihre letzte Heilige Messe mit uns: Sind Sie eigentlich noch im Alltagsgeschäft der Pfarrei oder befinden Sie sich auf der Zielgeraden in Ahrweiler?

Aktuell sei er zweigleisig unterwegs: „Einerseits geht hier die normale Arbeit weiter. Bis zur Abschiedsmesse feiere ich Werktagsmessen und halten am Donnerstag noch eine Beisetzung. Andererseits hat die Planung für Remagen längst begonnen: Vom ersten Kennenlernen des Teams, über Bewerbungsgespräche, bis hin zur Einrichtung des Pfarrhauses.“ Wichtig sei ihm dabei, nicht in Gedanken schon weg zu sein. Ebensowenig möchte er aber jetzt noch Entscheidungen treffen, die ihn ja selbst nicht mehr beträfen.


Worauf freuen Sie sich am meisten an Ihrer neuen Tätigkeit?

„Darauf, mit anderen zusammen eigenverantwortlich Dinge zu gestalten.“ Denn als Kooperator  habe man immer nur Verantwortung für Teilbereiche und frage sich dauernd: „Darf ich das?“ Marquardsen freut sich auf die Arbeit ohne Sicherheitsseil: „Dinge zu gestalten, wie es meinem Naturell entspricht und wie es die Gegebenheiten vor Ort hergeben.“ Allzu utopischen Erwartungen nimmt er aber den Wind aus den Segeln: „Der Neuaufbruch ist cool, weil er fruchtbar ist; aber auch gefährlich, weil mit meinem Alter schnell eine Erwartungshaltung einhergeht, nach dem Motto: ‚da kommt ein junger Priester, der frischen Wind bringt und der mit uns Projekte hochzieht.‘ Ich bin zwar nicht da, um die Dinge zu machen wie Vorgänger, aber auch nicht um alles anders zu machen; oder gar die Projekte aus Ahrweiler in Remagen neu aufzulegen.“ Dass er vor Ideen sprudelt, kann er aber kaum verbergen, trotzdem müsse man sich zunächst immer einen Einblick verschaffen: „Was geht vor Ort? Wie tragfähig und wie kirchenfähig sind meine Ideen? Coole, kreative Sachen kosten Zeit und müssen parallel zum Regelgeschäft laufen.“


Ihr Markenzeichen sind Ihre Präsenz auf Instagram und bunte Socken: Ist das für Sie eine neue Art, ein neuer Weg der Verkündigung?

Mit Instagram habe er begonnen unter der Prämisse Werbung für seine Berufsgruppe zu machen: „Ich habe gemerkt, dass viele unter uns jüngeren Priestern dem Priestertum oft einen traditionell-konservativen Touch geben; das ist okay, aber nicht mein Zugang. Ich wollte halt zeigen, dass ich bin wie ich bin und dass es auch andere, unkonventionelle Zugänge zum Priestertum gibt.“ Bei dem Versuch, Persönliches aufzuzeigen gelingt es ihm Leute mitnehmen.

Das mit den bunten Socken habe sich einfach so ergeben: „Ich fand andauernd schwarz zu bieder und habe dann mal Socken von Monty Python entdeckt – daraus wurde eine Liebe…“


Zum Schluss ein Gedankenexperiment: Angenommen Jesus käme in die Pfarrei Bad Neuenahr-Ahrweiler: Was würde er uns sagen wollen?

„Uff. Loslassen von Liebgewonnenem – aber das ist ein Thema was Kirche generell betrifft. Ich würde sagen: Mal über den Tellerrand gucken und schauen ob alles, was bisher so lief auch weitergeführt werden muss.“ Hier kommt Marquardsen erneut auf sein Herzensprojekt, die Waschbar zu sprechen: „Es geht darum, Menschen den Raum zu geben, den sie verdienen.“ Für den jungen Pfarrer sei das ein Thema, was Jesus deutlich machen würde. „Das wäre auch wichtiger, als die Frage danach, ob Konservative oder Progressive – sofern es beide Lager so gibt – Recht haben. Diese Diskussion finde ich zurzeit zum Kotzen. Darüber diskutieren wir gefühlt seit 1794 – während das Grundproblem nicht in der Frage nach Zölibat oder Frauenpriestertum besteht, sondern darin, dass wir als Kirche nicht klar kriegen, was unser Markenkern ist.“  

Marquardsen zufolge würde Jesus seiner Kirche – nicht nur an der Ahr – sagen wollen: „Bekommt klar, wofür man uns braucht, was die Leute mit uns anfangen sollen!“

An dieser Stelle sei Kooperator Heiko Marquardsen gedankt für seinen Dienst in unserer Pfarrei: die erfrischenden Predigten – teils mit Requisiten wie Star Wars Figuren – oder die Herausgabe des Podcasts „Ahr und Ohr“. Wir hoffen, Sie finden auch in Remagen den Mut, neue Wege in der Verkündigung zu gehen! Dazu wünschen wir als Pfarrei alles Gute und Gottes Segen!

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